Nackenschmerzen

Selbsthilfe bei Nackenschmerzen

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Selbsthilfe bei Nackenschmerzen
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Den Patienten werden die Ursachen ihrer Erkrankung erklärt, damit sie Verständnis für die richtigen Körperhaltungen und Verhaltensweisen haben, die ihnen das Leben erleichtern.

Für die Mediziner und Wissenschaftler finden sich Angaben aus der Literatur mit einem Verzeichnis der Originalarbeiten, Dissertationen und Buchbeiträge

Ebenso wie einfache Rückenschmerzen gibt es einfache Nackenschmerzen, die nach einigen Tagen wieder von selbst verschwinden. Durch Selbsthilfemaßnahmen kann man zur Besserung beitragen. Bei wiederholtem Auftreten von Nackenschmerzen ist ein Haltungs- und Verhaltenstraining im Rahmen der Rückenschule mit speziellen gymnastischen Übungen angebracht. Bei länger anhaltenden Nackenschmerzen, Kopfschmerzen oder Nervenstörungen im Arm muss man den Arzt aufsuchen.

Einleitung

30% aller degenerativen Wirbelsäulensyndrome betreffen die Halswirbelsäule. Sie äußern sich als Nackenschmerzen, die zur Schulter ziehen und teilweise in den Arm ausstrahlen. Auch Kopfschmerzen können damit verbunden sein. Punkprävalenz (Nackenschmerzen heute) mit 30% und Jahresprävalenz mit 60% liegen dicht hinter den Angaben für Rückenschmerzen (Kohlmann 2001), Borenstein et al 2004). Zwei Drittel aller Menschen haben irgendwann im Laufe ihres Lebens einmal Nackenschmerzen (Fejer et al 2006). 18% - 40% entwickeln chronische Beschwerden, besonders wenn ein Trauma eine Rolle gespielt hat (Schoffermann et al 2005, Derebery et al 2009).

Die Ursachen der Beschwerden an der Halswirbelsäule sind grundsätzlich die gleichen wie an der Lendenwirbelsäule. Auch hier kommt es zu degenerativen Gefügelockerungen vor allem in den unteren Segmenten C5 bis C7 mit Irritation benachbarter Nervenstrukturen und Muskelverspannungen. Bewegungsarmut und längere Einhaltung ungünstiger Kopfhaltung, oft im Zusammenhang mit Unterkühlung (Zugluft) der Nackenregion, rufen die typischen Beschwerden hervor. Sofortmaßnahmen sind lokale Wärmeapplikation, z. B. als Schal und ein niedrig dosiertes Analgetikum, z. B. Ibuprofen 400. Auf jeden Fall sollte man aktiv bleiben und seinen gewohnten Tätigkeiten weiter nachgehen. Durch geeignete Haltungs- und Verhaltensregeln, z. B. am Arbeitsplatz und vor allem durch Bewegung, Gymnastik und Sport lassen sich die Beschwerden an der Halswirbelsäule ebenso nachhaltig beeinflussen wie an der Lendenwirbelsäule.

Im Gegensatz zu Rückenschmerzen gibt es nur wenig Literatur und Studien, die sich mit der Prävention von Nackenschmerzen beschäftigen. Neben Übersichten bei Nachemson und Jonsson: Neck and Back Pain (2000), Borenstein, Wiesel u. Boden (2004) finden sich die meisten Hinweise im Zusammenhang mit der Therapie und Prävention der Chronifizierung beim sog. Schleudertrauma der Halswirbelsäule: Harms-Ringdahl und Nachemson (2000), McClune et al (2003), Ylinen et al (2003), Chin et al (2005), Lauders et al (2007), Lansinger et al (2007), Lidgren (2008), Dereby et al (2009). In der Bochumer Rückenschule war die Halswirbelsäule von Anfang an mit einbezogen (Krämer 1985, 2006).

 

Information

Im Halsteil der Rückenschule erklären wir den Patienten die Grundlagen mit Anatomie und Funktionsweise der Halswirbelsäule sowie die Entstehungsmechanismen ihrer Beschwerden. Am Anfang stehen die beruhigenden Aussagen:

Bei einfachen Nackenschmerzen:

  • positiv denken, denn
  • sie kommen häufig vor
  • sind harmlos und halten nicht lange an (ein paar Tage)
  • Röntgen, CT und MRT helfen nicht weiter und führen nur zur Verunsicherung - abgesehen von den Strahlen (CT, Rö.) und Kosten (MRT)
  • aktiv bleiben und den täglichen Verrichtungen weiter nachgehen unter Berücksichtigung gewisser Haltungen und Verhaltensweisen für die Halswirbelsäule aus der Rückenschule.

Bei komplizierten Nackenschmerzen, die länger anhalten (mehr als 1 Woche), mit Kopfschmerzen, Nervenstörungen im Arm und (oder) allgemeinen Krankheitserscheinungen (z. B. Fieber) einhergehen, muss ein Arzt aufgesucht werden.

 

Verhaltensregeln bei Nackenschmerzen

Wenn einfache Nackenschmerzen in bestimmten Zeitabständen immer wieder auftreten, was besonders bei Tätigkeiten am Schreibtisch und Computer der Fall ist, gibt die Rückenschule Hinweise, was man dagegen unternehmen kann.
Die Grundlagen dafür finden sich in der Biomechanik der Halswirbelsäule. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass bestimmte Kopfhaltungen die Beschwerden im Nackenbereich provozieren, andere wiederum Erleichterung bringen:
Die Kopfrückneigung, sog. Reklination oder Extension, ist ungünstig.

Eine leichte Kopfvorneigung, sog. Inklination oder Flexion, ist günstig. Experimentelle Untersuchungen, u. a. auch an unserem biomechanischen Institut, haben gezeigt, dass sich schon bei leichter Kopfvorneigung – um etwa 10 Grad – die Zwischenwirbellöcher für den Durchtritt der Nerven signifikant erweitern und der Blutstrom durch die Arteria vertebralis zum Kopf deutlich zunimmt (Oppel u. Fritz (1986), Grifka et al (1989), Struckhoff (1994), Tomoaki et al (2004) s. Abb 1.

Durchblutung der A. vertebralis in verschiedenen KopfhaltungenAbb. 1 Die Durchblutung der A. vertebralis in verschiedenen Kopfhaltungen. Bei leichter Kopfvorneigung von etwa 10° ist die Durchblutung der A. vertebralis besser als in der Normalhaltung. Bei weiterer Flexion und Kopfrückneigung aus dieser Haltung heraus verschlechtert sich die Durchblutung mit zunehmenden Winkelgraden.

Im praktischen Teil der Rückenschule werden die idealen Kopfhaltungen, z. B. am Computerarbeitsplatz, vor dem Fernseher oder auf dem Fahrrad vorgeführt und eingeübt.
Das Motto lautet: Kinn nach unten "chin in" Position.

Wichtig ist auch für die Halswirbelsäule möglichst viel Bewegung mit ständigem Haltungswechsel im Sinne der Rückenschulregel Nr.1 und der neuen ganzheitlich bewegungsorientierten Rückenschulkurse, bei denen auch die psychosozialen Belange besonders berücksichtigt werden.

Der Einfachheit halber und zur besseren Einprägung sind die Empfehlungen der Rückenschule für Patienten mit HWS Beschwerden in 10 Regeln zusammengefasst, die im wesentlichen auf den biomechanischen Grundlagen beruhen.

Die 10 Regeln

  1. Beim Lesen, Handarbeiten, Fernsehen, Autofahren öfter eine Pause machen.
  2. Keine abrupte Drehbewegung des Kopfes – besser mit dem ganzen Körper drehen.
  3. Zugluft nicht an den unbedeckten Hals lassen – Schals und Kragen tragen.
  4. Beim Liegen kleines Kopfkissen, keine Bauchlage.
  5. Beim Laufen Kinn runter, beim Radfahren Lenker hoch.
  6. Nicht "über Kopf-Höhe" arbeiten – besser Leiter oder Stuhl nehmen.
  7. Im Theater und Kino nicht in den ersten Reihen – besser hinten sitzen.
  8. Beim Trinken aus der Büchse oder Flasche besser Strohhalm nehmen.
  9. Haare waschen unter der Dusche und nicht im Waschbecken.
  10. Tägliche Halsmuskelübungen.

 

Übungen

Bei einer Veranlagung zu immer wieder auftretenden Nackenschmerzen speziell bei Tätigkeiten am Computer und Schreibtisch sind neben dem ganzheitlichen Bewegungsprogramm noch spezielle Übungen zur Kräftigung der Schulternackenmuskulatur erforderlich. Am besten sind Übungen, die Betroffene nach anfänglicher Anleitung durch Physiotherapeuten, später ohne größeren Aufwand, selbständig durchführen können.

Tägliches HalsmuskeltrainingAbb. 2 Tägliches Halsmuskeltraining
Leichte Kopfvorneigung als Ausgangsstellung (Kinn runter).

a: Der Kopf wird gegen die seitlich aufgelegte Hand gedrückt. Es spannen sich die seitlichen Halsmuskeln an, insbesondere der Musculus sternocleidomastoideus, Musculus splenius capitis, Pars descendens des Musculus trapezius.

b: Verschränken der Arme hinter den Kopf (man kann auch ein Tuch nehmen). Anpressen des Hinterkopfes gegen die Hände. Es spannen sich an: die medialen Anteile der Pars descendens des Musculus trapezius, Musculus semispinalis capitis, Musculus splenius capitis, Musculus rhomboideus, Musculus levator scapulae.

c: Das Kinn wird gegen die geschlossene Faust gedrückt, am besten zwischen Zeigefinger und Daumen. Es spannen sich an: Musculus sternocleidomastoideus bds., die Scalenusmuskeln und die Muskeln am Schildknorpel.

 

Literatur zu Nackenschmerzen

  1. Borenstein, D., Wiesel, S., Boden, S.: Low back and neck pain. 3rd ed. Philadelphia: Saunders 2004
  2. Chiu, T.T., Lam, T.H., Hedley, A.J.: A randomized controlled trial on the efficacy of exercise for patients with chronic neck pain. Spine 2005; 30:E1-7
  3. Derebery, J., Giang, g. M., Gatchel, R. J., Erickson, K., Fogarty, T. W.: Efficacy of a patient-educational booklet for neck-pain patients with workers` compensation. A randomized controlled trial. Spine 2009 34;2:206-213
  4. Fejer, R., Kyvik, K.O., Hartvigsen, J.: The prevalence of nevck pain in the world population: a systematic critical review of the literature. Eur. Spinie J. 2006; 15:834-48
  5. Grifka, J., Drüppel, D., Oppel, U., Krämer, J.: Anatomisch-pathologische Grundlagen der Flexionstherapie an der HWS. Rheuma 1989;9:131-5
  6. Harms-Ringdahl, K., Nachemson, A.: Acute and subacute neck pain: nonsurgical treatment. In: Nachemson, A., Jonsson, E. eds.: Neck and Back pain: The Scientific Evidence of Causes, Diagnoses and Treatment. Philadelphia; Lippincott, Williams & Wilkins 2000
  7. Kohlmann, T.: Prävalenz von Schmerzen in verschiedenen Körperregionen. In: Zenz, M., Jurna, I. eds.: Lehrbuch der Schmerztherapie. Stuttgart, Wiss. Verlagsgesellschaft Stuttgart 2001;222-229
  8. Krämer, J.: Bandscheibenschäden, Vorbeugen durch Rückenschule, Heyne, München 1985
  9. Krämer, J.: Bandscheibenbedingte Erkrankungen. Thieme, Stuttgart 2006 (5. Aufl.)
  10. Landers, M. R., Cheung, W., Miller, D. et al: Workers`compensation and litigation status influence the functional outcome of patients with neck pain. Clin. J. Pain 2007; 23:676-82
  11. Lansinger, B., Larsson, E., Persson, L. C., Carlsson, J. Y.: Qigong and exercise therapy in patients with long-term neck pain. Spine 2007; 32:2415-2422
  12. Linton, S. J., van Tulder, M. W.: Preventive interventions for back and neck pain problems: what is the evidence? Spine 2001; 26:778-87
  13. Nachemson, A., Jonsson, E. eds.: Neck and Back Pain: The Scientific Evidence of Causes, Diagnosis and Treatment. Philadelphia: Lippincott, Williams & Wilkins 2000
  14. Oppel, U., Fritz, G.: Durchflussmessungen an der Arteria vertebralis in Abhängigkeit von Flexion und Extension. Mitt.-Bl. dtsch. Ges. Orthop. Traumatol. 1986;16-83
  15. Schoffermann, J. A., Koestler, M. E.: Whiplash and neck pain-related disability. In: Schultz I. Z., Gatchel, R. J. eds. Handbook of Complex occupational Disability
  16. Struckhoff, H. J., Das Öffnungsverhalten der Foramina intervertebralia. Diss. Bochum 1994
  17. Tomoaki, K. et al.: Morphologic changes in the cervical neural foramen due to flexion and extension. Spine 2004;29(24):2821-5
  18. Ylinen, J., Takala, E. P., Nykanen, M. et al: Active neck muscle training in the treatment of chronic neck pain in women: a randomized controlled trial. JAMA 2003;289:2509-16

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